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ZDF Beiträge: Menschen mit Behinderung werden in Deutschland zu oft vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Was sind die Lösungen?

Fast jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine schwere Behinderung. Betroffene werden häufig vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und in Parallelstrukturen wie Förderschulen und Werkstätten gedrängt. Zu diesem Schluss kommt auch der abschließende Bericht des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wie kann Inklusion besser gelingen?

Menschen mit Behinderung sind oft überdurchschnittlich gut qualifiziert, finden aber keine Beschäftigung. Manche müssen gegen ihren Willen in Frührente. Eine Betroffene berichtet.

Mehr Menschenrechtsbildung und Partizipation

Um Inklusion in allen Bereichen voranzutreiben, brauchen wir in Deutschland mehr Menschenrechtsbildung, fordert Sigrid Arnade, Vorsitzende des Sprecherinnenrats des Deutschen Behindertenrats. “Und zwar von Anfang an altersgemäß in der Kita, über Schule und Fort- und Weiterbildungen”, so Arnade. Nur so könne man ein menschenrechtliches Verständnis vom Zusammenleben der Menschen in allen Köpfen verankern. In Deutschland gebe es noch immer ein sehr starkes Schubladendenken, was zu mehr Exklusion als Inklusion führe. Die Entwicklung der Inklusion in Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bewertet sie eher negativ: “Es wird nicht besser. Im Moment ist die Tendenz vor allem im Bildungsbereich eher rückläufig”.

Inklusion

Inklusion ist die “gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung”, sagt Christian Walter-Klose, Professor für Beratung in sonderpädagogischen und inklusiven Arbeitsfeldern an der Universität zu Köln. Er erklärt das Konzept mithilfe eines Beispiels: Bei einem Museumsbesuchs umfasst Inklusion verschiedene Aspekte. Ob der Besuch für alle Menschen gleichermaßen zugänglich ist, zum Beispiel, oder ob alle die Kunst betrachten und Audioguides nutzen können. Aber auch ob die Toiletten für alle zugänglich sind, ob jeder dort das gastronomische Angebot besuchen und einen Kaffee trinken kann und gleich freundlich behandelt wird. Eigentlich ist Inklusion deshalb die Aufgabe von jedem Mitglied der Gesellschaft, sagt Walter-Klose. Denn sie umfasse sowohl die Rahmenbedingungen, die von Entscheidungsträgern geschaffen werden, als auch die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen.

“Die ganze Gesellschaft profitiert, wenn auch Menschen mit Behinderung gleichberechtigt an ihr teilhaben können, weil es die Vielfalt erhöht und allen das Leben erleichtert”, sagt Sigrid Arnade, Vorsitzende des Sprecherinnenrats des Deutschen Behindertenrats. “Eine inklusive Welt stellt einen Gewinn für alle Menschen dar”, sagt auch Walter-Klose. So sei ein Aufzug in einem Gebäude mit mehreren Stockwerken nicht nur für einen Rollstuhlfahrer essenziell, sondern auch für eine ältere Person, die die Treppen nicht alleine hochgehen kann. Auch Eltern mit Kinderwagen, Postboten, oder Bewohner, die schwere Einkaufstüten schleppen müssen, profitieren von einem solchen Aufzug.

Woran scheitert Inklusion?

70 Prozent aller Förderschüler*innen verlassen die Schule ohne einen anerkannten Abschluss. Menschen ohne Schulabschluss haben es auf dem ersten Arbeitsmarkt besonders schwer, vor allem, wenn eine Behinderung hinzukommt. Eine Studie der Aktion Mensch aus dem Jahr 2022 zeigt, dass die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt insbesondere an der Beschäftigungsbereitschaft der Unternehmen scheitert. Obwohl etwa 173.000 Unternehmen in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet sind, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben, erfüllen nur rund 40 Prozent dieser Unternehmen die Vorgabe. 25 Prozent hingegen beschäftigen keinerlei Arbeitnehmer*innen mit Behinderung und zahlen stattdessen die volle Höhe der sogenannten Ausgleichsabgabe (Quelle: Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch). “Inklusion ist ein grundlegendes Menschenrecht und muss deshalb auch auf dem Arbeitsmarkt umgesetzt werden”, sagt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. “Nur so können wir gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit für alle Menschen erreichen.”

Voraussetzungen für Inklusion

Laut Christian Walter-Klose, Professor für Beratung in sonderpädagogischen und inklusiven Arbeitsfeldern an der Universität zu Köln, gibt es verschiedene Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, damit Inklusion besser gelingen kann. So brauche es eine Bereitschaft innerhalb der Gesellschaft, Inklusion auch wirklich zu wollen und die Unterschiedlichkeit der Menschen wertzuschätzen. Außerdem müsse es genügend Möglichkeiten geben, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen in Kontakt treten können, damit Unsicherheiten und Vorurteile abgebaut werden. Diese Kontaktmöglichkeiten werden geschaffen, indem Angebote inklusiver gestaltet werden.

In 2023 fanden die Special Olympics in Berlin statt. Auch Schwimmerin Anna-Lena trainierte für die Weltspiele – sie wollte nicht nur gewinnen, sondern auch für Inklusion werben.

Bildung als Schlüssel

Besonders wichtig ist Inklusion laut Arnade in der Bildung. “Wenn Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen zusammen aufwachsen, mit und ohne Migrationshintergrund, mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Religionen und eben der ganzen Vielfalt, die es so in der Gesellschaft gibt – dann wäre auch das Zusammenleben im Erwachsenenalter sehr viel unkomplizierter”, sagt sie. Studien zeigen, dass schulische Inklusion zu mehr Toleranz und Hilfsbereitschaft zwischen Schülerinnen und Schülern führt. Im Schuljahr 2020/2021 besuchten jedoch nur weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in Deutschland mit Förderbedarf eine reguläre Schule. Der Rest ging auf Förderschulen. Diese sind Teil der vielen Parallelstrukturen, die es in Deutschland für Menschen mit Behinderungen gibt und zu denen auch spezielle Wohneinrichtungen und Werkstätte zählen. Insgesamt sind mehr als 310.000 Menschen mit Behinderungen in Deutschland in Werkstätten beschäftigt. Sie erhalten einen Lohn, der erheblich unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegt.

Parallelstrukturen abbauen

Laut Walter-Klose reicht es aber nicht, diese spezialisierten Einrichtungen einfach zu schließen. Man müsse parallel auch inklusive Angebote schaffen. Solange wir keine Alternativen haben, verlieren Menschen durch das schließen möglicherweise Hilfen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ersetzbar sind. Prof. Christian Walter-Klose, Beratung in sonderpädagogischen und inklusiven Arbeitsfeldern, Universität zu Köln. Um im schulischen Bereich Parallelstrukturen abzubauen, braucht es laut Arnade vor allem mehr Ressourcen, die teilweise bereits frei werden würden, wenn Förderschulen in reguläre Schulen umgewandelt werden würden. “Es müssten mehr Lehrkräfte da sein und die Sonderpädagoginnen und -pädagogen müssen in die Regelschulen, um Teamteaching zu ermöglichen”, sagt sie.

Beim “Teamteaching” führen mehrere Lehrer und Lehrerinnen eine Unterrichtsstunde durch, wodurch eine individuellere Betreuung von allen Schülerinnen und Schülern – nicht nur von jenen mit einer Behinderung – möglich ist.

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