Unternehmen haben oft nicht nur Schwierigkeiten, passende Arbeits- und Fachkräfte zu finden, vielen fehlen auch Führungskräfte. Gleichzeitig arbeiten weniger Menschen mit Behinderungen als Menschen ohne Behinderungen in einer Führungsposition. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) ist in einer Analyse den Gründen dafür nachgegangen und hat außerdem untersucht, was Unternehmen tun könnten, um Inklusion auch auf der Führungsebene zu fördern.
Das Team des IW Köln hat für die Analyse eine selbst durchgeführte Beschäftigtenbefragung aus dem Jahr 2023 ausgewertet. Im Rahmen dieser Untersuchung beantworten jedes Jahr rund 5.000 Beschäftigte Fragen zu ihren Erwartungen an ihren Arbeitsplatz, etwa mit Blick auf Arbeitszeiten und -organisation, zu Veränderungen in ihrem Job und zu ihren Erwartungen an ihre berufliche Zukunft. Das IW Köln hat zum Beispiel untersucht, wie Menschen mit und ohne Behinderungen ihr Arbeitsumfeld erleben, ob sie einen beruflichen Aufstieg anstreben und ob sich Zusammenhänge zwischen diesen beiden Themen erkennen lassen.
Menschen mit Behinderungen sind seltener erwerbstätig und arbeiten häufiger in Teilzeit
Laut dem Statistischen Bundesamt sind in Deutschland 57 Prozent aller Menschen mit Behinderungen zwischen 15 und 64 Jahren erwerbstätig, haben also einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei Menschen ohne Behinderungen in der gleichen Altersgruppe liegt die Erwerbsquote bei 82 Prozent. Menschen mit Behinderungen arbeiten laut der IW-Beschäftigtenbefragung außerdem etwas häufiger in Teilzeit oder in Minijobs. Nur jede zehnte in Teilzeit beschäftigte Person (mit und ohne Behinderungen) wiederum möchte gern mehr Stunden arbeiten.
Einen sehr deutlichen Unterschied zeigen die Daten der IW-Beschäftigtenbefragung bei der Anzahl der Personen, die in einer Führungsposition arbeiten: Fast jede:r dritte Beschäftigte ohne Behinderungen hat Führungsverantwortung im Job, ebenso ist es bei den Beschäftigten mit einem Grad der Behinderung unter 50. Bei den Beschäftigten mit Schwerbehinderung, also einem Grad der Behinderung von 50 oder mehr, arbeitet weniger als jede:r vierte in einer Führungsrolle.
Im Rahmen der Befragung wurde allerdings nicht erhoben, ob Beschäftigte schon einmal eine Führungsposition innehatten und diese möglicherweise wegen einer Erkrankung und einer anschließenden Behinderung aufgeben mussten. Umgekehrt wurde bei Führungskräften mit Behinderungen auch nicht gefragt, ob ihre Behinderung schon bestand, als sie sich auf die Führungsposition bewarben, oder erst dann eine Rolle spielte, als sie die Position schon erreicht hatten. Eventuelle Zusammenhänge lassen sich aus den Daten also nicht direkt ableiten.
Das Team des IW Köln hat sich deshalb vor allem mit einer Frage beschäftigt:
Möchten die befragten Beschäftigten beruflich aufsteigen?
Wer diese Frage in der Untersuchung mit „Ja“ beantwortet hat, bewirbt sich wahrscheinlicher auf Führungspositionen und wird diese entsprechend auch wahrscheinlicher erreichen.
Etwas mehr als vier von zehn Befragten (42,6 Prozent) haben geantwortet, dass sie in den nächsten drei bis fünf Jahren im Unternehmen (weiter) aufsteigen wollen.
Zwischen den einzelnen Gruppen gibt es aber große Unterschiede:
Laut dem Forschungsteam dürften diese Unterschiede aber stärker mit anderen Faktoren zusammenhängen als mit einer eventuellen Behinderung. Jüngere Beschäftigte haben beispielsweise eher Karriereambitionen als Personen ab 55 Jahren. In dieser Altersgruppe gibt es aber deutlich mehr Menschen mit Behinderungen als in der Gruppe der unter 30-Jährigen, weil eine Behinderung häufig erst im Laufe des Berufslebens auftritt, etwa nach einer Erkrankung. Und wer in Teilzeit arbeitet, was bei Menschen mit Behinderungen etwas häufiger vorkommt, strebt seltener eine Beförderung an, als Vollzeitbeschäftigte es tun.
Wie Beschäftigte ihre Arbeit empfinden, beeinflusst ihre Karriereambitionen
Auch bei der Frage, wie Beschäftigte ihre Arbeit erleben und welchen Einfluss das auf ihren Aufstiegswunsch hat, gibt es laut IW Köln keinen großen Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen. Wer bei der Arbeit Stress empfindet, möchte wahrscheinlich keine höhere Position mit mehr Verantwortung und zusätzlichen Aufgaben übernehmen. Umgekehrt wollen Beschäftigte eher aufsteigen, wenn sie bei der Arbeit Spaß und Möglichkeiten haben, sich weiterzuentwickeln. Dasselbe gilt, wenn Angestellte sich häufig Stellenanzeigen anderer Unternehmen anschauen: Sie streben dann eher einen beruflichen Aufstieg an und wären wahrscheinlich auch im eigenen Betrieb daran interessiert.
Angst, die Arbeit nicht zu schaffen
Das IW Köln hat bei der Befragung einen Aspekt gefunden, der das Interesse an einem beruflichen Aufstieg vor allem bei in einer Gruppe dämpft: Einige Menschen mit Behinderungen gaben an, dass sie zwar beruflich aufsteigen wollten, aber gleichzeitig Angst hätten, ihre Arbeit nach einer Beförderung nicht mehr zu schaffen. Das mag auf den ersten Blick irritierend wirken. Das Forschungsteam interpretiert das so: Menschen mit Behinderungen „wissen, dass Beförderungsentscheidungen von ihrer Arbeitsleistung abhängen“, befürchten sie aber – anders als Menschen ohne Behinderungen –, „dass sie den dadurch entstehenden höheren Leistungsanforderungen (…) nicht gerecht werden können“.
Was können Unternehmen tun?
Die IW-Autor:innen leiten aus ihrer Analyse einige Tipps und Ideen ab, wie Unternehmen es schaffen können, Menschen mit Behinderungen für offene Führungspositionen zu gewinnen: