Erst vor 5 Jahren hatte Jana Spegel einen inklusiven Trainingstag besucht und entdeckte eher zufällig ihre Leidenschaft für Para Tischtennis. Einmal ausprobiert, war die 21-Jährige allerdings sofort Feuer und Flamme. Sie schaffte im Eiltempo den Sprung ins Nationalteam und in nur vier Jahren die Qualifikation für die Spiele in Paris.
Die sportliche Reise von Jana Spegel ist so unglaublich wie bewundernswert. Manchmal kann sie es selbst kaum glauben, was ihr da gelungen ist. 2021 bei den Spielen in Tokio hat sie die Wettkämpfe noch vor dem Fernseher verfolgt. „Ich habe mir nachts den Wecker gestellt und der deutschen Mannschaft die Daumen gedrückt“, erinnert sich Spegel und lächelt. Die Paralympischen Spiele seien zu diesem Zeitpunkt noch so weit weg gewesen, „ich habe nicht mal im Ansatz davon geträumt oder für möglich gehalten, dass ich drei Jahre später selbst dabei sein könnte“.
In Paris wird sie nun tatsächlich das Trikot der Nationalmannschaft tragen und gehört zur neunköpfigen deutschen Para Tischtennis-Auswahl, die vom 29. August bis 7. September um Medaillen kämpft.
„Das alles ist schon ziemlich aufregend. Man merkt, wie in den vergangenen Wochen der Trubel und die Aufmerksamkeit zugenommen haben“,
sagt die gebürtige Stuttgarterin. Allein die Einkleidung in Düsseldorf und die damit verbundene Anprobe der Paralympics-Outfits hätten sie total „geflasht“. „Das war großartig, ein Wahnsinnsgefühl, in der Messehalle auf die vielen Athletinnen und Athleten zu treffen und erstmals die Kleidung in den Händen zu halten. Spätestens in dem Moment spürt man: Jetzt geht’s Richtung Paris.“
Längst hat die heiße Phase der Vorbereitung begonnen für die junge Athletin, die vor knapp viereinhalb Jahren im Rahmen eines Schnuppertrainings auf Para Tischtennis aufmerksam geworden ist.
„Das war recht lustig. Ein Trainer aus meinem Rollstuhlbasketballverein und ein damaliger Internatsbewohner unserer Wohngruppe haben mich unabhängig voneinander gefragt, ob ich zu einem inklusiven Trainingstag mitkommen und mir das mal anschauen möchte. Ich dachte: Wenn mich schon zwei Leute fragen, dann mach ich das mal”,
erinnert sich Spegel. Bis dahin habe sie allenfalls in der Freizeit gespielt. Vom Para Tischtennis als Sport war sie allerdings sofort begeistert.
Sport spielt im Leben von Jana Spegel seit jeher eine wichtige Rolle. Als Kind begann sie mit Handball – später stieg sie in Folge ihrer neuromuskulären Erkrankung, die ihr das Laufen zunehmend erschwerte, auf Rollstuhlbasketball um. Inzwischen hat die junge Sportlerin mit Para Tischtennis die ideale Sportart für sich gefunden. Zunächst über die Schul-AG führte sie ihr Weg direkt in den Verein, wo Spegels Talent nicht lange verborgen blieb. Schon 2021 wurde sie deutsche Vizemeisterin der Jugend (Wettkampfklasse 1-3), es folgte die Berufung in die Nationalmannschaft – und inzwischen tritt sie für Tischtennis Frickenhausen in der 2. Bundesliga im Rollstuhl-Tischtennis an.
„Dass es jemand in vier Jahren zu den Paralympics schafft, ist eine Seltenheit.”
„Jana ist zwar erst recht frisch dabei, hat sich aber in kurzer Zeit unheimlich entwickelt. Ihre rasante Leistungssteigerung ist wirklich außergewöhnlich“, betont Volker Ziegler. Der Bundestrainer schwärmt von den Fähigkeiten der jungen Nationalspielerin: „Dass es im Para Tischtennis jemand in knapp vier Jahren zu den Paralympics schafft, ist eher die Seltenheit. Sie ist ein echtes Ausnahmetalent.“
Mit WM-Bronze 2022 und EM-Silber im vergangenen Jahr hat die 21-Jährige auf internationaler Bühne bereits zwei große sportliche Ausrufezeichen gesetzt. Insbesondere das gute Abschneiden bei der Europameisterschaft bezeichnet Spegel als wichtigen Meilenstein.
„Ich habe in diesem Jahr gegen alle Konkurrentinnen in meiner Wettkampfklasse gewonnen. Das hat mir enormes Selbstbewusstsein gegeben“,
betont sie. Mit den Erfolgen gegen die Top-Spielerinnen wuchs bei Spegel nicht nur der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, es reifte mehr und mehr auch die Überzeugung, dass sie es tatsächlich zu den Paralympics schaffen kann. „Als die Qualifikationskriterien im Frühjahr veröffentlicht wurden, dachte ich: Das ist machbar, auch wenn es noch ein schwieriger Weg wird.“
Scheinbar mühelos meisterte Spegel im WM-Jahr auch ihr Abitur an der Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd und bewies, dass Schule und Sport durchaus vereinbar sind. Als Jahrgangsbeste schloss sie mit 1,0 ab – seit dem Wintersemester 2022/2023 studiert sie Medizintechnik an den Universitäten Tübingen und Stuttgart und hat dort beste Voraussetzungen, Studium und Training miteinander zu kombinieren. Die Universität kommt der Sportlerin dabei sehr entgegen. „Ich habe vergleichsweise wenige Präsenztage. Das ermöglicht es mir, intensiv zu trainieren und mich auf ein solches Highlight wie die Paralympics bestmöglich vorzubereiten.“
Das tägliche Training und die guten Bedingungen hätten ihre Entwicklung positiv beeinflusst, betont auch Bundestrainer Volker Ziegler, der voll des Lobes über seine Spielerin ist: „Sie ist ein intelligentes und für ihr Alter bereits sehr aufgeräumtes Mädchen. Sie weiß, was sie will – auch am Tisch. Ihr Spiel verfügt über eine sehr hohe Variabilität, sie ist für ihre Gegnerinnen schwer auszurechnen.“
Umklassifizierung vor drei Monaten: Keine Auswirkung auf die Paralympics
Vor knapp drei Monaten gab es allerdings einen kleinen Rückschlag: Spegel wurde von Wettkampfklasse 1 in 2 umklassifiziert – hier gilt: je niedriger die Wettkampfklasse, desto größer die Beeinträchtigungen. Das sorgte so kurz vor dem großen sportlichen Höhepunkt noch einmal für Unsicherheit. Glücklicherweise hat diese Veränderung mit Blick auf ihre Teilnahme in Paris keine Auswirkung, weil im paralympischen Turnier WK 1 und 2 in einem Wettkampf starten. „Als klar war, dass meine Qualifikationsleistung Bestand hat, war das alles, was ich wollte“, betont die Para Tischtennisspielerin.
Was ihre neue Klasse und damit verbunden die deutlich stärkere Konkurrenz langfristig für sie bedeuten, daran denkt sie erst einmal nicht. Sportlich wird sie es nach der Umklassifizierung gegen die Kontrahentinnen mit geringeren Beeinträchtigungen wohl deutlich schwerer haben.
„In der WK 1 reicht es manchmal aus, einen guten Ball zu spielen. In der WK 2 muss ich schon viele gute Bälle spielen, um einen Punkt zu machen. Die Ballwechsel sind länger, die Qualität höher, es ist schwieriger zum Punkt zu kommen“,
erklärt Spegel, die darin aber zugleich eine Herausforderung sieht. Auch deshalb fällt es schwer, eine Prognose hinsichtlich ihrer Chancen in Paris abzugeben. „Die WK 2 ist sicher stärker, aber man weiß nie. Viele Spielerinnen kenne ich noch gar nicht. Hinzu kommt, dass wir direkt im K.o.-System starten, dort kann alles passieren.“
Spegels wünscht sich ein gutes Los zu Beginn, das den Turnierstart erleichtert. Ihr persönliches Ziel: „Ich möchte meine Leistung abrufen, dem Druck standhalten und die besondere Atmosphäre auch ein Stück weit genießen“, sagt die Stuttgarterin. Dazu gehöre auch, bei anderen Sportarten vorbeizuschauen, wenn es die Zeit zulässt. Ihr Freizeitkonto wird allerdings stark davon abhängen, wie weit sie kommt. Spegel startet im Einzel, Doppel und Mixed.
Unterstützt wird sie von ihren Eltern, Freunden und Bekannten, die extra nach Paris kommen. „Darüber freue ich mich sehr. Die Paralympischen Spiele werden für mich eine großartige Erfahrung.“ Überhaupt sei die Vorfreude riesig. Nach dem abschließenden Nationalmannschafts-Lehrgang in Düsseldorf (bis 12. August) geht’s am 23. August Richtung Frankreich, wo für die 21-Jährige am 29. August im Mixed und Doppel das Abenteuer Paralympics beginnt.
Quelle: RP/DBS/Rolling Planet