Der pro familia Bundesverband hat im Rahmen seines Projekts „Selbstbestimmung und Vielfalt in der Geburtshilfe“ eine kostenfreie Publikation zur Versorgung von Schwangeren mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen herausgegeben. Grundlage für die Dokumentation war ein Webinar, das zum einen aufzeigte, welchen Barrieren werdende Eltern mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen oft begegnen, und zum anderen Ansätze eine für inklusive, menschenrechtskonforme geburtshilfliche Versorgung vermittelte.
Der Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung für Schwangere und Gebärende sei ein Menschenrecht, das die Lebensqualität der betroffenen Personen ebenso wie ihre Teilhabe an der Gesellschaft direkt beeinflusse, schreibt die Projektkoordinatorin Finja Petersen in der Einleitung zur Dokumentation. Dennoch berichteten Fachkräfte und Menschen, die Kinder zur Welt gebracht haben, immer wieder von mangelnder Versorgung und Gewalt- oder Diskriminierungserfahrungen. Besonders häufig treffe dies zum Beispiel auf Black, Indigenous, People of Colour (BIPoC), queere Menschen und Menschen mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen zu.
In drei Vorträgen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und einem anschließenden fachlichen Austausch der Teilnehmenden untereinander ging das Webinar den Leitfragen nach, wie sich die Situation für Schwangere mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen aktuell darstellt, welche Bedarfe sie haben, und welche strukturellen Verbesserungen erfolgen müssten, um sie gut zu versorgen.
Ulrike Haase vom Netzwerk behinderter Frauen Berlin e. V. formulierte in ihrem Vortrag „Empfehlungen für den Umgang mit Personen mit Behinderung in der Geburtshilfe“ u. a. verschiedene gesundheitspolitische Forderungen wie beispielsweise ein flächendeckendes Netz an barrierefreien Praxen der Regelversorgung oder Workshops und Seminare zur Selbstreflexion möglicher Vorurteile und verinnerlichter Diskriminierungen für das Fachpersonal.
Elternassistenz und begleitete Elternschaft als Unterstützungsmöglichkeiten
Hannelore Sonnleitner-Doll von der pro familia Beratungsstelle Frankfurt am Main machte in ihrem Beitrag „Gynäkologische Sprechstunde und Geburtsvorbereitung für Frauen und Paare mit Beeinträchtigung“ zum Beispiel darauf aufmerksam, dass es bei Schwangeren mit körperlichen Behinderungen wichtig sei, die jeweils individuellen Voraussetzungen zu beachten. Denn individuelle Ausprägungen einer Behinderung könnten ganz unterschiedliche Implikationen für eine Schwangerschaft und die Geburt bedeuten. Außerdem stellte sie als Unterstützungsmöglichkeiten die Elternassistenz und die begleitete Elternschaft vor.
Prof. Dr. Anke Rohde, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, ging unter dem Titel „Mutter werden mit psychischer Erkrankung“ darauf ein, dass Frauen mit psychischen Erkrankungen zusätzlich zu den Unsicherheiten, die vermutlich fast alle werdenden Mütter empfinden, vor weiteren Fragen stehen: Muss ich meine Medikamente während der Schwangerschaft absetzen oder umstellen? Wie wird sich meine Schwangerschaft auf den Verlauf meiner Erkrankung auswirken? Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch und eine umfangreiche, informierte Vorbereitung auf die Geburt etwa mit Hilfe eines schriftlichen Geburtsplans könnten dabei helfen, Betroffene von psychischen Erkrankungen gut auf ihrem Weg zu begleiten.
„Um den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen gerechter zu werden, sind strukturelle Veränderungen in Form von mehr Zeit, personellen und finanziellen Ressourcen unabdingbar“, heißt es im Resümee der Dokumentation. Entscheidend seien die umfassende barrierefreie Ausstattung von gesundheitlichen Einrichtungen und eine individuelle Schwangerschafts- und Geburtsplanung, die allen Beteiligten mehr Handlungssicherheit bieten könne.
(Quelle: pro familia Bundesverband)